adoptiert

Sie war adoptiert. Sie wusste das. Natürlich. Ihre Eltern gingen immer offen damit um. Sie war mit sechs in die Familie gekommen. Mit sechs Jahren. Sie nannte das ihre Geburt. Ich wurde mit sechs geboren. Die Leuten lachten dann. Ihre Mama korrigierte sie. Freundlich, aber bestimmt. Es blieb dennoch dabei, sie konnte das gar nicht anders sagen. Sie hatte keine Erinnerung an diese ersten sechs Jahre ihres Lebens. Sie wusste nicht, wo sie in die Kita gegangen war und wer ihre Freunde gewesen waren. Sie hatte keine Bilder von solchen Freunden. Sie wusste nicht, wie sie selber ausgesehen hatte, mit zwei, oder drei. Ob ihre Haare vielleicht früher blond waren, die Augen blau, wie bei anderen Kindern, oder immer schon braun. Heute hat sie braune Haare, braune Augen. Und weiß nicht von wem. Sie hat dieses unbestimmte Gefühl, dass sie es auch nicht wissen möchte. Mehr war da nicht. Jedes Mal, wenn ihre Mama mit ihr davon sprach, dass sie ja schon viel erlebt hätte, auch schon viel Schlimmes, dann hört sie plötzlich nicht mehr zu. Sie sieht Mama sprechen, die Lippen bewegen, kein Ton kommt bis zu ihr. Sie spielt oder zieht sich ein Buch in die Nähe, die Mama fragt, hörst du mir zu, sie nickt, irgendwie kann sie solche Fragen immer hören, vielleicht, weil so viel Nachdruck darin liegt, ansonsten verfließt alles. Sie kann sich an kein einziges Gespräch erinnern, sie wüsste nicht, dass ihre Eltern ihr je etwas Konkretes erzählt hätten, von der Zeit davor. Daher bleibt es dabei, auch wenn die Mitschüler lachen. Sie erzählt es mit einem gewissen Stolz. Ich bin mit sechs Jahren geboren worden. Ich bin adoptiert.