Der Höhenmesser. Von Großvater.

Heute habe ich den alten Höhenmesser von meinem Großvater gefunden. Er hat damit im Krieg seine Männer durch die Berge geführt. Gebirgsbataillon. Ich sehe ihn ziehen, mit seinen Mannen, in grünem Tuch, über die Gletscher, einer an den anderen geseilt, eine lange Reihe vereinzelter kleiner Zielpunkte auf weißem Feld. Das Seil nass und schwer. Voran mein Großvater, mit Karte und Kompass und Höhenmesser. Mit den Karten im Kopf, jeder Felsen jede Gletscherspalte bekannt. Und doch kann der Gletscher der Fels von Tag zu Tag anders sein.

Drüben, über der Grenze, fällt ein Fliegerpilot. Er hat einen Fallschirm. Aber der Fallschirm brennt. Ein schwarzes Pünktchen fällt ins Eis. Die Italiener haben ihn runtergeholt. Das Flugzeug zerschellt, verschwunden, der Berg schluckt viel, auch einen verbrannten Piloten. Der liegt auf der anderen Seite der Grenze. Mein Großvater führt seine Männer zurück in den Bunker. Feierabend für heute, es dunkelt bereits.

Ich weiß nicht, wie es war, für Großvater, abends wieder in den kalten Bunker zu klettern. Mit solchen Bildern auf der Netzhaut. Ich weiß nur, dass es eine der ganz wenigen Erinnerungen aus dem Krieg ist, die mein Großvater mir erzählt hat. In den Tagen, als er das meiste schon vergessen hatte, sich nicht mehr zurecht fand, mich nicht mehr kannte. Da hat er mir erzählt, von diesem brennenden schwarzen Pünktchen. Das vom Himmel fiel. Und ein Loch in den Gletscher brannte. Während er mit seinen Mannen über die Berge zog, die Grenze sichernd, am Seil verbunden. Und abends neben dem Gletscher in diesen kleinen kalten Bunker kroch, die Stahltür zuzog, als letzter. Den Metallriegel sicherte. Und nicht schlafen konnte, nachts. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.

Der Höhenmesser funktioniert noch immer. Ein Thommen. „Qualitätsware“, hätte mein Großvater gesagt. Er wäre stolz auf seinen Höhenmesser, könnte er jetzt sehen, wie genau der Zeiger die 52 Meter anzeigt. 52 Meter über dem Meer. Berlin Wedding. Weit weg von den Bergen.