Einkaufen.

Sie kommt aus dem Laden und setzt sich auf den Poller. Ein großer Stein, Platz für zwei, es setzt sich kein zweiter. Sie ist allein. Sie nimmt nicht mehr wahr, wieviele Menschen um sie herum sind. Sie setzt sich, schweratmend, zieht sich die Maske vom Gesicht. Die Nase ist schweißnass, die Brille beschlagen. Hinter der Brille, die Augen, sind übergroß und schreckensstarr. Ihr Atem wird flach, verschwindet fast. Das Gesicht blasst ab. Sie sitzt und konzentriert sich auf die Steinkante, die sich in ihren Oberschenkel drückt. Diese eine einzige Sache, die sie gerade noch wahrnehmen kann.

Sobald sie wieder ein klein wenig was sieht, beginnt sie, alle Schuhe zu zählen, die vor ihr am Boden vorbeilaufen. eins und zwei. und drei und vier. rot. und braun. grün. und braun.

Bei siebenundzwanzig kommt der erste Atemzug. Das Gesicht nimmt ein wenig Farbe an, ein klein wenig. Sie schaut kurz auf, und gleich wieder runter. Sorgfältig beginnt sie nochmals bei eins, die Schuhe zu zählen, lässt den Kopf bei jedem Schuhpaar ein klein wenig mitgehen. Sie weiß, das hilft den Nackenmuskeln, diesen kleinen winzigen Stellmuskeln hinten an der Rückseite ihres Kopfes, sich wieder ein wenig zu lösen. Bei jedem Schuh ein bisschen. Sie hat so viel gelernt, in den letzten zwei Jahrzehnten.

Sie ist heute zum ersten Mal alleine einkaufen gegangen, überhaupt einkaufen, nach sechs Wochen. Sie arbeitet online, von zuhause aus, und hat sich liefern lassen, das wenige, was sie essen mochte, essen musste, in dieser Zeit. Doch nun hatte sich eine kleine Liste angesammelt von Dingen, die sie sich nicht so einfach liefern lassen konnte. Und nach sechs Wochen, da war es ihr nun auch nicht mehr recht, wieder ihre Freundin zu fragen, ob sie ihr nicht dies und jenes doch vielleicht nochmals mitbringen könnte. Beim letzten Mal hatte die Freundin einen selbstgenähten kleinen hübschen Stoff zu den Einkäufen gelegt, in Maskenform, mit zwei Gummibändern. Ohne Kommentar. So konnte sie es jetzt wohl nicht mehr vermeiden, sie musste es wenigstens versuchen.

Sie sitzt auf diesem Pollerstein, die Sonne im Gesicht. Sie spürt sie wieder, die Sonne. Aufstehen kann sie noch nicht, das Blut kribbelt, tausend Bläschen. Sie holt tief Luft und pustet lange lange gegen fast verschlossene Lippen. Lippenbremse, Atemtechniken, wie früher. Die Augen werden weicher, bewegen sich, beginnen plötzlich, wie gehetzt hin und her zu flitzen hinter den Gläsern, werden nur langsam ruhiger. Sie weiß, ihr Nervensystem orientiert sich. Sie hat so unendlich viel Theorie im Kopf, zu Nervensystem, und Triggern. Und konnte sich dann doch nicht helfen. Oder doch?

Sie war doch gerade einkaufen gegangen. Sie hatte es geschafft! Der Rucksack war gefüllt mit den paar Kleinigkeiten. Das teure Olivenöl drückte sich an ihre Rippen. Sie musste lachen. Eigentlich war es doch ganz in Ordnung, wie sie das hingekriegt hatte. Für eine wie sie. Mitten zwischen vermummten Menschen, in langen Schlangen. Stehen und warten. Nichts mehr sehen, weil die Gläser beschlagen. –

Halt. Stop. Schuhe zählen. eins zwei drei vier. braun. braun. schwarz. und rosa. Kleine rosa Kinderschuhe. Und eine helle hohe Kinderstimme. „Alles gut?“