Gestorben.

Er ist gerne bei ihr gesessen. Der Alltag wurde still und ruhig neben ihrem Bett. Die wenigen Worte. Die Geräusche vom Luftbefeuchter und vom Sauerstoffgerät. Manchmal ein Vogel von draußen, dann hat sie noch den Kopf bewegt. Für ihn musste sie sich nicht bewegen. Sie lag ganz still, die Augen geschlossen. Aber sobald er da in seinem Sessel saß, als könnte sie ihn spüren, hat sie jeweils für einen kurzen Moment diese tiefen klaren blauen Augen geöffnet. Nur für ihn. Er wusste dann, dass sie noch hier war. Was immer das noch bedeutete, hier, nicht dort, nicht drüben. Und er schaukelte vor und zurück, in ihrem Sessel, sachte, nicht unruhig. Seine Unruhe fiel von ihm ab, sobald er ihre Wohnung betrat. Diese Nähe zum Tod, die machte ihn ruhig. Das gefiel ihm. Als sie noch mehr hatte sprechen können, hatte er auf ihre Frage, ob es nicht belastend wäre für ihn, neben einer Sterbenden zu sitzen, erklärt, er hätte den Tod so oft so nahe gesehen, in seiner schrecklichen Kindheit, dass ihn Sterben nicht mehr schrecken könnte. Aber je mehr Tage er jetzt in Stille neben ihrem Bett saß, desto falscher kam ihm diese Erklärung vor. Er hatte oft Angst gehabt, damals, gleich wäre es vorbei. Er hatte oft gehofft auch, es wäre endlich vorbei. Und dennoch. Er war noch nie so nah am Tod gewesen wie jetzt, in diesem Zimmer. So nah an dieser Öffnung, zwischen den Räumen. Als könnte er selber mit hindurchschlüpfen. Hin und zurück. In dieser Stille. Nun sitzt er ein letztes Mal am Bett. Es ist stiller noch als sonst, kein Luftbefeuchter, kein Sauerstoffgerät. Nur Stille. Und die Öffnung ist zu. Sie hat sich geschlossen, hinter ihr. Er kann nicht mehr mit, vor und zurück, tastend, suchend, fragend. Er sitzt allein. Im Leben. Und beneidet sie ein wenig. Aber nur kurz. Sie kann ja auch nicht mehr zurück. Und er mag sein Leben.