Ich stütze mich.

Sie sagt es vor sich hin. Immer wieder. Ich stütze mich ich stütze mich ich stütze mich. Sie weiß nicht, wie das geht. Aber der Mann, der ihnen hilft, der Mann vom großen Schiff, der hat ihr das gezeigt. Die Hände hinten unten an den Rücken legen, angewinkelte Ellenbogen, die Handflächen an den Nieren. Sie weiß nicht genau, wo die Nieren sind. Aber der Mann hat gesagt, das hilft. Wenn es wieder ganz schlimm sei, wenn sie wieder von Bord springen wolle, dann solle sie beim nächsten Mal ihre Hände nehmen, sie in den Rücken legen und sich selber stützen. Sie weiß nicht, ob es funktioniert. Aber irgendwie, irgendwie scheint es zu helfen. Sie fühlt sich nicht mehr ganz so allein. Obwohl sie noch genau so allein ist. Sie ist jetzt zwölf, sie ist jetzt erwachsen. Sie ist über Nacht erwachsen geworden. Ihre Eltern sind im Meer geblieben. Und die kleine Schwester. Und der winzige Bruder. Der wird als erster ertrunken sein. Der Kleine konnte ja noch nicht mal krabbeln, wie hätte er denn schwimmen sollen. Sie wusste ja selber kaum, wie sie an Bord gekommen war. Der eine junge Mann, der ihr was zu Essen gegeben hatte, in der Nacht, auf dem kleinen Boot, der hatte sie plötzlich um den Hals gepackt. Und sie angefleht, sich ruhig zu verhalten, nicht zu schreien, nicht um sich zu schlagen, still zu liegen. Wenn sie nicht seit Ewigkeiten schon unterwegs gewesen wäre und immer hätte still sein müssen, lautlos, bewegungslos, sie hätte es nicht gekonnt, in dem kalten dunklen Wasser. So schloss sie die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem, hielt ihn so klein und flach und lautlos wie möglich, zählte die Atemzüge, versetzte sich nach Hause, auf die Farm, in den Stall, zu den Tieren. Wie warm es dort war. Zwischen den Leibern. Wie laut sie atmeten, die Tiere. Und sich sachte hin und her wiegten. Bis kräftige Arme sie gepackt hatten. Und von dem Körper des jungen Mannes gerissen. Der unter ihr fast ertrunken wäre, der absackte wie ein Stein, den einer der Taucher einfing, an Bord hievte, übers Knie legte. Sie würde es schaffen, ihren Eltern zuliebe, die es nicht geschafft hatten. Ihrer Schwester, ihrem winzigen Bruder zuliebe. Sie wusste nicht, was auf sie zukommen würde. Aber sie wusste ganz genau, dass diese ihr liebsten Menschen um keinen Preis gewollt hätten, dass sie sich über Bord warf. Sie würde es aushalten müssen. Sie war dem freundlichen kleinen weißen Mann dankbar. Der jede Stunde einmal über ihr Deck lief, bei jedem kurz stehen blieb, zwei Worte oder drei Blicke wechselte. Und der ihr gezeigt hatte, wie sie sich selber stützen konnte. Wenn es wieder ganz schlimm wurde.