Sie erwähnt ihr Kind.

Sie erwähnt ihr Kind. Sie hat es nie gekriegt. Sie hat es abgetrieben. Aus guten Gründen. Sie hat es vermisst. Jahrzehntelang. Sie hat sich nicht getraut zu trauern. Sie wollte es ja nicht. Oder doch? Oder nicht. Sie konnte sich nicht entscheiden. Sie hat sich entschieden. Trauern lag nicht drin. Jetzt sind es ein paar Wochen noch. Der Arzt ist nicht mehr optimistisch. Er schlägt keine neue Therapie mehr vor. Er schreitet Richtung palliativ. Und sie? Zum ersten Mal in ihrem Leben beginnt sie zu trauern. Um ihr Kind. Das nicht groß geworden ist. Das nicht geboren wurde. Das fehlt. Immer gefehlt hat. Sie weint. Am Küchentisch. Keine großen Tränen. Stille, kleine Tränen. Ein Glück, dass es einmal noch da sein darf. Ausgesprochen. Auf den Tisch gelegt, das kleine Bündel. In Tücher gewickelt. Gewiegt und gehätschelt. Der Tisch ist leer. Ihr Gesicht wird still und ruhig. Als wäre sie bereit, einen weiteren Schritt zu gehen. In die Richtung dorthin, wo ihr Kind, vielleicht, bereits ist.