Sie spürte sie nicht mehr.

Sie spürte sie nicht mehr. Die Liebe zu ihrem Kind. Sie hatte die Rituale, an denen hielt sie sich fest. Streichelte ihn in den Schlaf. Flüsterte ihm ins Ohr, wiesehr sie ihn lieb hatte, wiesehr sie ihn immer immer beschützen würde, wiesehr er eine gute Nacht haben sollte. Hielt ihre Hände an seinen Rücken, seinen Nacken, bis er nicht mehr zuckte, bis er tief und fest eingeschlafen war. Dann stand sie wieder auf, setzte sich an den Küchentisch und begann zu trinken. Nicht übermäßig. Aber kontinuierlich. Ohne zu schlafen. Gegen vier hörte sie auf, um morgens nicht mehr nach Alkohol zu riechen, für das Kind. Sie holte den Wäschekorb und begann, die liegengebliebenen Klamotten in die Waschmaschine zu stopfen, die sauberen vom Ständer zu nehmen, um später die nassen gleich wieder aufhängen zu können. Alles in einem Arbeitsgang, langsam, mit leicht verwaschenen Bewegungen, aber koordiniert, eigentlich unauffällig, wie sie fand. Während die Maschine schleuderte, wärmte sie sich die Nudeln vom Vorabend. Sie hatte abends nicht essen können. Wie meistens. Morgens um fünf ging es dann, oder musste, weil nur ein gefüllter Magen verhinderte, dass sie doch um sieben noch nach Alkohol roch, wenn der Kleine wieder aufstand. Nudeln essen. Zähneputzen, gurgeln, Pastillen lutschen, starke, scharfe. Wäsche aufhängen, danach duschen, Haare waschen. Rituale. Auch das. Wie oft hatte sie sich nicht geduscht. Aber die Frau hatte ihr gedroht, ganz freundlich, aber sehr gefährlich. Wenn sie nicht regelmäßig geduscht und ohne Alkoholfahne ihr Kind in die Kita brachte, würde sie eine Meldung schreiben. Und das, das konnte sie nicht gebrauchen. Sie konnte die Liebe zwar nicht fühlen, zurzeit. Aber sie war da. Ganz tief in ihr drin. Sie wusste das. Sie liebte ihr Kind. Und sie wollte es nicht verlieren.