Und immer wieder der Weg ins Netz. Ein kleines Unbehagen, ein bisschen Hunger, keinen Freund, kein Kind, keinen Nachbarn. Die Alternative heisst Netz. Den Laptop öffnen, ausgeschaltet ist er nie, Passwort eingeben, schon geht es los. Nachrichtenseiten. Links zu weiteren Nachrichtenseiten. Weitere Links zu schon mehr Boulevard, Voyeurismus. Oft geht es um Kinder, Missbrauch, Porno, Vergewaltigungen. Verhaftungen, Prozesse, die niedrigen Strafmaße. Die Sätze der Verteidiger, die ihre Mandanten raushauen. Mit Anrechnung der Untersuchungshaft und Bewährung und gutes Betragen. Bis zwei Monate bleiben, oder zwei Wochen, die noch abzusitzen sind. Und wieder auf freiem Fuß. Und weiter so. Manchmal will er es nicht mehr hören. Und liest trotzdem weiter. Klickt sich von Seite zu Seite. Unterschreibt die Petitionen zur Verbesserung des Opferschutzes in Deutschland. Verirrt sich auf die Seite des ermordeten Stalking-Opfers ebenso wie auf die Unterstützerseite für Frau Bacot, die ihren Täter-“Ehemann“ nach Jahrzehnten des Leidens erschossen hat. Erstmals seit langem ein Freispruch, den er voll und ganz verstehen kann, für den er sich sogar eingesetzt hat mit seiner Unterschrift. Manchmal hat er das Gefühl, etwas zu verändern in dieser Welt, mit Unterschriften unter irgendwelche Petitionen. Obwohl er weiß, dass er längst gar nichts mehr tut, seit vielen Jahren, seit er sich mehr im Netz bewegt als im realen Leben. Das reale Leben kommt ihm bereits bedrohlich vor. Sich hinaustrauen, unter Menschen, nicht wissen, was sagen, wie lächeln oder nicht lächeln, hinterhersehen oder nicht. Da bleibt er lieber zuhause. Seit er Geld vom Amt kriegt, gibt es keine Gründe mehr, vor die Tür zu gehen. Und um nicht selber auf den einschlägigen Seiten zu landen, liest er alle Berichterstattung rund um die einschlägigen Themen. Und unterschreibt Petitionen. Und fühlt sich besser. Als hätte sein Leben doch einen kleinen, klitzekleinen Sinn.