Das Kind.

Sie wird ihr Kind wiedersehen, das nicht mehr ihr Kind war.

Das Kind hat jahrelang in ihrem Bett geschlafen, jahrelang in ihrem Körper gelebt. Sie konnte das Kind kaum ablösen, von ihrem Schoß, von ihrem Arm, von ihrem Hals, bis es nicht mehr ging, bis sie nicht mehr konnte, und auch das Kind nicht mehr konnte. Bis das Mädchen zurück ging, woher sie gekommen, auch schon Zwischenstation. Nun war sie selber eine Zwischenstation geworden, obwohl sie doch bleiben sollte, Mama auf Lebenszeit, oder Mama bis achtzehn, Langzeitpflegevertrag.

Sie würde ihr Kind wiedersehen, irgendwann, da war sie sich sicher. Das Mädchen war derart tief eingewurzelt gewesen, in ihrem Körper. Es wird sie wieder herziehen, irgendwann. Wenn sie groß genug ist, sich darüber hinwegzusetzen, dass manche im Pflegewesen bei den alten Sätzen bleiben. Es ist besser, wenn du sie nicht mehr siehst. Du musst jetzt zur Ruhe kommen, du wirst sie vergessen. Hier ist jetzt deine Mama. Kinder vergessen schnell, besser, einen Schlussstrich zu ziehen.

Sie kannte die alten Sätze. Sie hielt nichts davon. Sie kannte so viele, die mit diesem „endlich“-Gefühl, mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung, auf den Besuch bei der einen oder anderen früheren Pflegefamilie reagiert haben. Weil innen im Körper plötzlich Dinge Sinn machten, ins Lot kamen, zu denen es bisher keine Geschichte, kein Gesicht mehr gab.

Gedächtnisspuren im Körper. Auch ihr Kind, das nicht mehr ihr Kind war, würde diesen Spuren folgen, irgendwann. Und ganz zufällig, am einen oder anderen Tag, ihren Weg wieder kreuzen, um stehen zu bleiben und ihr ins Gesicht zu sehen, in den Körper zu kriechen, mit den Augen, bis sie innerlich wieder angekommen sein würde, in der kleinen Kuhle unter der Decke, in die sie jahrelang genau gepasst hatte.