Er faltet Socken.

Er faltet Socken, steckt die winzigen Paare ineinander. Ärgert sich, wieviele kleine Hosen es schon wieder sind, wieviele kleine Unterhosen. Wenn der Kleine endlich richtig trocken werden würde, das wäre wenigstens etwas. Die Pullis gehen leicht. Die Unterhosen faltet er nicht, die wirft er auf einen Haufen in die Schublade im Kinderzimmer. Nicole hätte sie gefaltet. Immer beim Wäschefalten vermisst er Nicole. Und schämt sich dann, dass er sie nur für die Wäsche vermisst. Was vermutlich nicht stimmt. Wenn er darüber nachdenkt, und meistens will er nicht darüber nachdenken, dann vermisst er sie ständig, eigentlich immer. Aber das Vermissen im Alltag ist bereits so normal, der Schmerz so unerträglich, dass sein Bewusstsein ihm kaum noch was nach oben nach innen nach wahrnehmbar meldet. Während diese kleine blöde Situation am Wäscheständer, wenn er all diese Kleinkindwäsche faltet, die früher immer Nicole gefaltet hat – meistens lässt er den Ständer wochenlang stehen und zieht jeden Tag die Kleider direkt von den Drähten. Aber heute kommt seine Schwester zu Besuch. Und er möchte gerne so tun, als würde es ihm den Umständen entsprechend so halbwegs gut gehen, als wäre schon alles in Ordnung, als wäre das zu stemmen, für ihn, plötzlich allein zu sein mit dem Kleinen, und allein mit diesem Wehtun im Körper, jeden Tag, jede Nacht, seit Nicole gestürzt ist. Umgefallen. Und nie mehr aufgestanden. Er hätte es sich anders gewünscht. Mit neunzig noch gemeinsam unter dem Apfelbaum zu sitzen. Händchen halten. Sich mit warmen liebevollen Augen ansehen. Kurz hintereinander weg und friedlich und im Einklang mit Kind und Kindeskindern irgendwann einschlafen. Wie man so schön sagt. Friedlich eingeschlafen. So hätte er sich das vorgestellt, wenn er damals schon an den Tod gedacht hätte. Hat er aber nicht. Nicole ist ihm zuvorgekommen. Hinterhersterben darf er nicht, es gibt ja den Kleinen. Also faltet er Wäsche, drückt den Schmerz weg, beginnt zu putzen, das Geschirr wegzuräumen, den Küchentisch zu säubern. Wie festgewachsen manche Dreckstellen schon sind. Wieder schämt er sich. Scham und Schmerz sind eine schlechte Kombination. Sie wird es ihm ansehen, seine Schwester, sie kennt ihn gut. Seit sie ihre Mutter begraben haben, Kinder noch, der Vater schon weg, seit diesem Tag hatten sie jedes Gefühl geteilt, jede Stimmung, jede noch so kleine Veränderung. Ihre Gesichter waren füreinander lesbar gewesen, als hätten sie ineinander hineinschlüpfen können. Seine Schwester lebt im Ausland, daher ist sie nicht schon längst bei ihm gewesen, es ist keine einfache Zeit zum Reisen. Aber heute wird sie kommen. Und sie wird ihm ins Gesicht sehen und alles wissen. Den Wäscheständer packt er trotzdem noch weg.