schlaflos.

Sein Kind hat ihn geweckt. Statt sich wieder hinzulegen, hat er seinen Rechner aufgeklappt. Am Küchentisch. Der Küchentisch ist der einzige Ort ohne Kinderkram. Und nachts ist die einzige Zeit, in der er arbeiten kann. In Ruhe. Abends fällt er meist mit dem Kind ins Bett. Erschöpft. Nicht mal mehr müde. Viel mehr als müde. Und nachts, wenn er geweckt wird, kann er dann nicht mehr einschlafen, neben dem wieder schlafenden Kind, wälzt sich lange, denkt an todo-Listen, an Arbeit, an Geld, an Verzweiflung. Steht irgendwann doch auf. So hat er sich langsam angewöhnt, einfach immer direkt aufzustehen, wenn er das erste Mal aus dem Schlaf gerissen wird. Manchmal ist das um Mitternacht, manchmal erst morgens um drei. Aber ein paar Stunden Ruhe bleiben ihm dann immer noch, bis der Kleine wieder da steht. Und Hunger hat. Tagsüber geht dann gar nichts. Den Mittagschlaf macht er leider meistens auch mit. Weil der Kleine sich nicht hinlegen will ohne ihn. Und er zu erschöpft ist, um nicht einzuschlafen, wenn er sich mitten am Tag mit hinlegt. Und wenn er es mal schafft, wach zu bleiben, räumt er Kleider weg oder startet eine Waschmaschine oder räumt den Geschirrspüler aus und gleich wieder ein, weil so vieles sich schon wieder neben der Spüle stapelt. Den Tisch wischt er meist erst nachts, bevor er den Rechner aufklappt. Neben eingetrockneten Töpfen auf dem Herd und saurer Milch in den Abendfläschchen, die seit drei Tagen stehen geblieben sind, er hat einfach ein paar mehr bestellt, die großen Versandhändler mag er zwar nicht unterstützen, aber im Moment verzichtet er auf Ethik, alles was ins Haus kommt, ohne dass er den Kleinen in Winterklamotten stecken und zum Rausgehen zwingen muss, undsoweiter. Eigentlich will er über all das nicht mehr reden. Es ist wie es ist, er kann es ja doch nicht ändern. Alleinerziehender Vater zu sein war schon immer nicht lustig. Im Gegensatz zu den alleinerziehenden Müttern hatte er zwar immerhin noch Wertschätzung, Respekt, manchmal Bewunderung oder pures unverhohlenes Mitleid. Aber jetzt sieht ihn kaum noch einer. Er ist der einzige auf seiner Arbeitsstelle, der so gut wie gar nichts mehr geregelt kriegt. Keiner will mehr ein Projekt mit ihm zusammen machen. Er war der erste, der auf Kurzarbeit musste. Ein Gesetz gegen Diskriminierung von Vätern im Beruf, das gibt es nicht. Er hätte sich auch nie im Leben dafür stark gemacht. Wäre er jetzt nicht selber betroffen. Vielleicht hilft es, wenn Menschen wie er sich jetzt zu wehren beginnen. Nachts, wenn er den Rechner hochfährt, arbeitet er nicht für seinen Chef. Nicht mehr. Der soll ruhig wissen, was neben der Dauerbetreuung eines Zweijährigen noch so alles möglich ist. Oder eben nicht. Nachts, da arbeitet er für die Väter. Und ein wenig auch für die Mütter. Auf dass sich etwas ändern möge. Auf dass sie wenigstens einen Sinn gehabt haben wird, diese seltsame schwierige Zeit. Er atmet einmal tief ein und aus, steht auf und stellt sich einen Moment zum Kind. Dieses kleine schlafende atmende Wesen, das er zurzeit manchmal nur noch nachts so richtig richtig lieben kann. Aber dann liebt er, immer wieder, jede Nacht.