kataton.

Sie kann nicht mehr. Sie kann mal wieder nicht mehr. Die Welt verschwimmt. Die Sicht wird pixelig, krümelig, an den Rändern ausgefranst. Radfahren kann sie noch. Eigentlich dürfte sie nicht mehr radfahren, in diesem Zustand. Den Frauen in der Beratung empfiehlt sie immer, noch eine Runde zu gehen, das Rad zu schieben, bitte nicht zu fahren! Und sie selber? Heute ist sie aus der Beratungsstelle raus wie eine ihrer Klientinnen. Schräg auf die Straße, Vorsichtsmaßnahmen außer acht lassend, nichts mehr sehend, keine Tränen, nur zusammengebissene Zähne und keine Ahnung mehr von gar nichts. Woher warum woher jetzt warum jetzt was war es gewesen war eine dabei gewesen die sie hätte kennen müssen von damals eine von ihnen oder warum woher – sie wusste es nicht.

Sie fuhr nicht mehr, sie schob nicht, sie stand. Oben auf der Brücke, mit keuchendem pfeifendem Atem, die Allergie, aber nicht nur. Die Gleise unten hinter Schleier, der Fernsehturm wie im Nebel, Sonnenschein der wehtat im Gehirn, Gummi in den Beinen zugleich steif wie Brett wie Holz wie Stock wie Baum. Sie hätte sich nicht vom Fleck rühren können. Woher es kam hätte sie immer noch nicht sagen können. Jetzt fragte sie es sich auch nicht mehr. Der Vorteil an den katatonen Zuständen war, dass sie nicht mehr denken konnte, nicht mehr fühlen musste, nichts mehr sah, nicht mehr wirklich. Es war nicht alles ok, das nicht, aber es war auch nicht schlimm. Es war eher wie gar nichts. Auch nicht Tod, das war nochmal anders. Sie hatten sie zwar wieder geholt, aber Sterben, das war irgendwie schön gewesen. Kataton dagegen, das war gar nicht. Sie konnte sich sehen und doch nicht sehen. Es war ihr egal und doch nicht egal. Sie wusste nichts, weder von jetzt noch von vorher.

Wie aus weiter Ferne ahnte sie, dass jetzt kein Bekannter kommen durfte, keiner sie ansprechen, weil dann gleich wieder der ganze Aufzug begann, mit Krankenwagen und Polizei und Psychiatrie. Bitte nein. Kein Bekannter, nicht jetzt. Ansonsten war der Platz gut gewählt. Oben auf der Brücke standen oft Menschen, sahen in die Ferne, standen dort lange, manche telefonierten, manche sahen einfach über die Gleise, zählten S-Bahnen, Regionalbahnen, Fernzüge, machten gar nichts. Sie konnte lange dort stehen, solange sie nicht in die Nacht hinein stand. Aber manchmal ließ es schnell wieder nach. Nur Geduld. Und stehen bleiben. Sich nicht rühren – haha – der Humor kam wieder, sie konnte sich ja nicht rühren, das war es ja. Aber ja, ganz still stehen, keine Panik im Innen, ruhig bleiben, ruhig werden, was immer da gewesen war, so ruhig werden wie irgend möglich, bis irgendwann die Muskeln wieder locker ließen, die Nerven, was immer da festhalten mochte. Sie würde dann eine Weile schieben müssen, das wusste sie schon. Aber danach wäre alles wieder gut.