In Berlin zuhause.

Ich erinnere mich, wie ich in Berlin ankam. Frühmorgens, mit dem Nachtzug. Mit einem letzten Rucksack und meinem neuen Rad, das mir mein Bruder extra alt geschenkt hat, für Berlin, damit es nicht gleich wieder weg ist. Das Rad war genau richtig, ich fahre immer noch damit. Die einzige Konzession an die Moderne ist ein Nabendynamo, den ich im langen Berliner Winter nicht mehr missen möchte.

Damals hat der Nachtzug am Bahnhof Zoo gehalten und ist danach quer durch die Stadt bis zum Ostbahnhof gefahren. Am Ostbahnhof stiegen nicht mehr viele Leute aus. Der Ostbahnhof war nicht sonderlich einladend. Ich schob mein Rad aus dem grauen Bahnhof ins graue Dämmerlicht, auf eine dicke Schicht Eis. Minus 20 Grad. Breitbeinig schob ich mein Rad nach Hause, in mein neues Zuhause, ein kleines Ofenheizungszimmer im Prenzlauer Berg. Ich fühlte mich zuhause wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Es hatte nicht mit der Kälte zu tun, nicht mit dem Eis. Vielleicht ein wenig mit den breiten Straßen, dem vielen Platz. Das für mich so neue, so wunderbare Gefühl, das mit dieser Winterluft voller Kohlenrauch in mich einströmte: hier hast du Platz, hier darfst du sein, hier bist du richtig, hier kann jeder alles sein, keiner schaut dich schräg an, alles gut.

Und dann der Schock, am Nachmittag. Und danach jeden Tag, über viele Wochen. Dass ich in der Schweiz doch Deutsch geschrieben und gesprochen hatte, unsere offizielle Schrift- und Amtssprache, meine Muttersprache im Schreiben. Und ich war doch zum Schreiben hergekommen. Um endlich Schriftstellerin zu sein. Aber. ABER. Ich konnte kein Wort verstehen!

Ich bestellte einen Kaffee und musste dreimal sagen, was ich genau wollte. Offensichtlich klang es nicht deutsch, was ich sprach. Und was die Leute zu mir sagten, das konnte ich nicht verstehen. Es ging durch mich hindurch wie eine unbekannte Fremdsprache. Als wären die Zähnchen der Zahnrädchen auf ganz andere Geschwindigkeiten geeicht, griff Deutsch und Deutsch in meinem Kopf nicht ineinander.

Es hat viele Wochen gedauert, bis ich die Menschen so im Allgemeinen verstanden habe. Ich war über viele Wochen zutiefst verunsichert, im tiefsten Innern destabilisiert. Als hätte ich keinen Boden unter den Füßen, wenn mein Kopf ins Leere griff.

ABER. In Berlin war ich zuhause. In Berlin wollte ich leben.

Ich bin in Berlin geblieben.